Kapitel sechs
»Bitte nicht unbekleidet in der Sonne liegen, Fräulein.« Der Xerox-Bademeister, der in seinem rot-weißen Rettungsschlitten über mir kreiste, verhielt sich äußerst höflich, aber sehr bestimmt: »Bitte kleiden Sie sich wieder an, oder ich sehe mich gezwungen, die Polizei zu benachrichtigen.«
Ich schaute mich um und entdeckte eine Toga und ein Paar Frotteesandalen auf einem verlassenen Badetuch. Wie selbstverständlich ließ ich mich darauf nieder und schlüpfte lässig in die Toga. Der Bademeister dankte mir für mein Verständnis und entschwebte in Richtung Meer. Ich blieb als Objekt der Begierde für ein halbes Dutzend Verehrer zurück, die sich um mich versammelt hatten, während ich schlief. Sie lümmelten sich weltmännisch in der Sonne und trugen allesamt ein lässig desinteressiertes Gehabe zur Schau, derweil sie ihre jeweiligen Erfolgschancen kalkulierten. Bedeutend größere Sorgen bereitete mir der Gedanke an die bevorstehende Rückkehr der rechtmäßigen Besitzerin von Strandtuch und Kleidung, die sich zweifellos irgendwo in den Wellen tummelte, also beeilte ich mich, diese gastliche Stätte zu verlassen. Mein Griff nach den Sandalen verursachte merkliche Unruhe unter meinen Bewunderern, sie wußten genau: jetzt oder nie. »Ekstarette?« fragten zwei der Kühnsten einstimmig, während sie sich von entgegengesetzten Seiten anpirschten.
»Wie Sie wünschen.« Es rutschte mir so heraus. »Ich meine – nein, vielen Dank. Ich wollte eben gehen.« Ich lächelte entschuldigend, um meine Verlegenheit zu überspielen. Der Aggressivere der beiden ließ sich nicht abwimmeln und bot mir an, mich zum Ausgang zu begleiten. Er bückte sich sogar nach Handtuch und Tasche, reichte mir die letztere und ging mit dem Badelaken unter dem Arm voraus. Ich stolperte über den künstlichen Sand hinter ihm drein, die Sandalen drückten, mir war schwindelig, und ich wußte nicht, wie ich auf seine abgehackten, aber freundlichen (allzu freundlichen!) Fragen reagieren sollte. Woher ich denn kam? »Newacres.« Oh, Sie sind von hier. »Ja, ich bin ein Mensch.« (Er lachte, als hätte ich einen Witz gemacht, dabei bemühte ich mich verzweifelt, überzeugend zu wirken.) Kam ich oft nach ›Grand Spa‹? »Nein.« Woher stammte dann die wunderschöne Bräune? Sonnenbank? »Äh – ja.« Auf der anderen Seite der Insel gäbe es einen Strand mit Nacktbadeerlaubnis. »Welche Insel?« Los Angeles-Insel. Sie haben doch nicht etwa zuviel Sonne abgekriegt? »Nein. Ich meine, ja.« (Ich empfand es niederschmetternd, nach drei Tagen auf See akkurat wieder am Ausgangspunkt angekommen zu sein. Gab es kein Entrinnen von hier?) »Haben Sie den Wagen dabei?« – »Nein.« – »Macht nichts, dann nehmen wir meinen.«
Inzwischen hatten wir den Parkplatz an der Strandpromenade erreicht. »Hier, nehmen Sie«, meinte er und aktivierte eine Ekstarette, indem er den Filter drehte. Aus Höflichkeit akzeptierte ich, folgte seinem Beispiel und inhalierte tief, während ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie ich den Knaben loswerden konnte, ohne seinen Verdacht zu erregen. »Hier ist mein Wagen.« Es war ein BMW Assiette, ein Kabrio. Die Tür öffnete sich auf den gesprochenen Befehl, doch bevor wir einsteigen konnten, lenkten die Rufe »Droid! Droid!« unsere Aufmerksamkeit auf den Mob, der brüllend zwei entlaufene P9 jagte, eine Krankenschwester und einen Chauffeur. »Retour!« rief mein Begleiter dem Auto zu, das augenblicklich gehorchte. »Stopp!« Quietschend kam es genau in der Mitte der Straße zum Stehen, gerade rechtzeitig, um den beiden unglücklichen Einheiten den Fluchtweg zu versperren. Gleich wurden sie von ihren Verfolgern umringt und mit einem Laser in Schach gehalten, bis wenige Augenblicke später eine Streife der AÜ in einem Aeromobil erschien. Es schwebte herab und saugte die beiden verbrecherischen Einheiten in den Frachtraum hinauf. Mein Begleiter wurde von Mitgliedern des Pöbelhaufens für seine Geistesgegenwart beglückwünscht, und ich nutzte die Gelegenheit, um mich davonzustehlen. Nachdem ich die breite Promenade überquert hatte, tauchte ich in dem Labyrinth der Straßen auf der anderen Seite unter, mit ihren atemberaubenden Läden, Restaurants und Bürotürmen. Die Leute schauten mir nach, vermutlich wegen meiner schlechtsitzenden Kleidung, unsicheren Bewegungen und der aufgelösten Frisur. Liebe Güte! Ein Stück Seetang hing in den Haaren. Hastig befreite ich mich davon, hob den Kopf und erspähte einen Block entfernt den riesigen Busbahnhof von Port Authority – eine schwerlich zu übersehende Anlage auf dem Plateau, wo sich früher das alte Stadion befunden hatte, außerdem entstieg ein steter Strom von Aerobussen dem inneren Terminal, während andere zum Landeanflug übergingen. Ich nahm den Zubringerlift nach oben und trat in die Halle. Das alte, schäbig wirkende Gebäude empfing mich mit einer übelriechenden Wolke von Hoverbusabgasen, billigem Desinfektionsmittel und dem abgestandenen Schweiß von Jahrzehnten. Ich eilte zu einem Fahrkartenschalter, reihte mich in die Schlange der Wartenden ein und beobachtete, wie jeder, sobald er an die Reihe kam, im Austausch für sein Billett entweder Melamin oder eine Kreditkarte präsentierte. Zu meiner Erleichterung, denn ich hatte es nicht zu hoffen gewagt, entdeckte ich eine Handvoll Mel in der Tasche, die fast vergessen über meiner Schulter hing. Dem Beispiel der Frau folgend, die unmittelbar vor mir gestanden hatte, verlangte ich eine Fahrkarte nach Paris. Zu teuer. Ich entschied mich für Philadelphia – das klang interessant und war nur halb so weit. Eine Minute später hatte ich den Flugsteig ausfindig gemacht, und im selben Augenblick setzte der Alarm ein.
Im ersten Schreck hätte ich beinahe die Flucht ergriffen, doch bezwang ich meine Panik, blieb stehen und hielt gleich den übrigen Passagieren Ausschau nach dem Grund für die Aktivierung des Überwachungssystems. Stellen Sie sich meine Bestürzung vor, als aller Augen sich auf mich richteten. »Sie ist es«, sagte jemand. Verwirrt trat ich den Rückzug an. »Diebin!« rief jemand anders. Ich begann zu laufen, doch der plärrende Signalton ließ sich nicht abschütteln. Draußen angelangt, bog ich in eine von Prostituierten bevölkerte Seitenstraße ein und verursachte eine nicht unbeträchtliche Aufregung. Die Vertreter von sowohl Angebot wie Nachfrage nahmen vor dem mir beharrlich folgenden Sirenengeheul Reißaus. Ich näherte mich zweien dieser aufgeputzten Damen, die sich in einen Hauseingang gedrückt hatten, und bat sie, mir Zuflucht zu gewähren, doch kaum hatten sie gemerkt, daß ich nicht der Polizei angehörte, da verwandelte ihre Angst sich in Zorn, und sie verjagten mich mit herabsetzenden Bemerkungen wie: »Schwing deinen heißen Arsch aus der Gegend, Süße!« und »Verschwinde! Du verdirbst das Geschäft.« Also lief ich weiter, das Heulen der Sirene in den Ohren, und wäre beinahe unter einen rosa Cadillac geraten, auf dessen spezialangefertigtem Nummernschild ROLAND prangte. Vor dem fletschenden Chromgrinsen des scharfgratigen Kühlergrills flüchtete ich auf den Bürgersteig und merkte dann, daß der Wagen im Schrittempo neben mir herrollte.
Die Beifahrerluke senkte sich und ermöglichte den Blick auf einen ebenholzhäutigen Gebieter mit einer grellroten Brikettfrisur. »Hüpf rein«, sagte er. Ich ging schneller. Er blieb auf gleicher Höhe. »Ich mache dir ein Sonderangebot. Die Hälfte von deiner Sore dafür, daß ich dir aus deiner mißlichen Lage helfe.« Ich ging weiter, das Sirenengeheul auf den Fersen. (Wo kam dieser infernalische Lärm bloß her?) »Komm schon, Mäuschen, stell dich nicht taub. Du hast wen rasiert und es vermasselt. Nicht mehr lange, und unser aller Freunde und Helfer haben dich am Arsch.« Nun, wer immer er war und was immer er wollte, er hatte nicht unrecht. Ich stieg ein, und Momente später schlängelten wir uns durch den Verkehr auf dem Elysian Drive.
»Uns bleiben ungefähr zehn Sekunden, bis die Jungs von der Fahndung dein Handtäschchen geortet haben. Gib her.« Nur zu gerne. Es enthielt ein ID-Armband, Kleenex, Mondminz, Lippengel, eine Holocassette (Liebesdrama) und den Busfahrschein. Kein Mel, das hatte ich ausgegeben. Eine enttäuschende Beute. Der ganze Kram wanderte in den Vaporisator am Armaturenbrett. Ich machte Anstalten, die Fahrkarte nach Philadelphia zu retten, doch er behauptete, dem Opfer einen Gefallen zu tun, und dann vaporisierte er die leere Handtasche. Trotzdem verstummte der Alarm nicht. Er musterte mich von oben bis unten. »Die Sandalen.« Weg damit. Keine Wirkung. Er fragte nach Schmuck, und als ich den Kopf schüttelte, heftete er den Blick auf meine Toga. Unaufgefordert stopfte ich sie in den Vapo. Mein Retter erwies sich als unerwartet rücksichtsvoll, indem er mit dem Colorregler die Scheiben verdunkelte. (Ein Kavalier durch und durch, dieser Roland.) Und immer noch – zu unserem beiderseitigen Erstaunen – wollte der Alarm nicht verstummen.
»Irgendwo hast du irgendwas versteckt«, behauptete er und äugte auf meinen Schoß. Indigniert versicherte ich ihm, das sei nicht der Fall. »Dein Gesicht?« Mein eigenes. »Haare?« Dito. »Was hast du verschluckt, einen Diamantring oder so was?« Er wurde allmählich nervös und trommelte mit den Fingern auf die Luftstartkontrollen, während er ein wachsames Auge auf den Himmelsspiegel hielt, um nicht von der Polizei überrascht zu werden. Ich fürchtete, er würde mich aus dem Wagen katapultieren, um sich selbst zu retten, statt dessen schenkte er mir einen geistesabwesenden Blick, als wäre ihm ein ganz neuer Gedanke gekommen, und befahl dem Wagen, am Straßenrand anzuhalten. Geheimnisvoll bat er um die Erlaubnis, meine Hand betrachten zu dürfen, und weil er so respektvoll fragte, ließ ich ihn gewähren. Er strich leicht über die Spitze meines kleinen Fingers und bewirkte damit eine Schwankung in Höhe und Klang des Sirenentons. Plötzlich entsann ich mich der elektronisch eingefügten Produktkennung in den Windungen meines Fingerabdrucks. »Ein heißer P9«, verkündete er, und bevor ich zu reagieren vermochte, rammte er meine Hand bis zum Gelenk in den Vaporisator.
Mit einem Aufschrei riß ich sie zurück. Die Haut sah aus wie feuerrote Butter. Zum zweiten Mal in meinem Leben erfuhr ich, was Schmerzen waren. Ich jammerte so laut, daß ich gar nicht merkte, wie still es plötzlich war. Mein Retter – oder Peiniger, was auch immer – erklärte mir, daß mein Fluchtmelder von einem verborgenen AÜ-Scanner ausgelöst worden sein mußte; seit der P9-Revolte gab es sie überall in der Stadt. Im Moment hätte mir nichts gleichgültiger sein können; der Schmerz war unerträglich. »Du hast mir weh getan!«
»Eines Tages wirst du mir dankbar dafür sein.«
Glauben Sie mir, wenn ich sage, da irrte er.
Trotzdem blieb ich bei ihm, weil … nun, weil er mich aufnahm. Sein Name war Roland Sax. Ein waschechter Humanitarier (wenn auch nicht der fundamentalistischen Fraktion angehörig, doch davon später mehr), dazu Dealer und Lude und viel zu lange Mentor, Liebhaber und persönlicher Dämon. Oh, die Torheiten der Jugend! Hätte der Chef mich doch bei der Hand genommen, statt mich auf eigenen Füßen stehen zu lassen, denn wohin hatte die Selbständigkeit mich geführt? In den Dodger District. Doch hatte ich zu Anfang keinen Grund zur Klage. Im Gegenteil, den mir zugefügten Schmerz machte er dadurch wieder gut, daß er mir in seiner Wohnung Obdach bot, einer heruntergekommenen Bude wenige Blocks vom Busbahnhof entfernt. Nur in eine Decke gehüllt, schaffte er mich nach oben und borgte mir einige von seinen Kleidungsstücken, die etliche Nummern zu groß und absolut fremdländisch waren – ein schillerndes Rodeohemd, einen Frotteeslip und Machohosen. Bei letzteren platzten die Hüftnähte, als ich mich hineinzwängte. Anschließend gab er mir etwas zu essen und Wein – das heißt, seine Diensteinheit tat es, ein Beta-8 von General Androids, namens Annette – und saß mir am Tisch gegenüber, fasziniert, wie er sagte, von dem gänzlich neuen Erlebnis, mit einem Androiden auf gleicher Ebene zu verkehren. Und selbst wenn es nicht das erste Mal gewesen wäre – ich bezweifle, daß irgendeine andere Einheit mit einer Geschichte wie der meinen hätte aufwarten können, zumal der Wein mir die Zunge gelöst hatte.
Ich erzählte ihm alles: von meiner Existenz als Dienstmädchen, der Rehabilitation und wie ich Kindermädchen wurde, Nonne, wundersame Mutter, Schiffbrüchige, Flüchtling und schließlich Diebin. Schon bald sollte ich in der Lage sein, der Liste meiner Stationen noch ›Hure‹ hinzuzufügen, doch vorläufig war es noch nicht soweit, also konnte Rolands Gelächter am Ende meines Berichtes sich unmöglich darauf beziehen. Es erscheint mir wahrscheinlicher, daß er über einen eher morbiden Sinn für Humor verfügte, denn mir fiel auf, daß seine Heiterkeit in direktem Verhältnis zu der Schwere der Schicksalsschläge zunahm. Hin und wieder lächelte er höchst unangebracht, wandte plötzlich den Blick ab oder schlug sogar die Hand vor den Mund. Ich fand dieses Verhalten durchaus befremdlich. Für mich entbehrte die erlittene Unbill jeglicher Komik, besonders die Episode von dem bedauernswerten Tad, der in den Wellen den Tod gefunden hatte. Besorgt stellte ich mir die Frage, ob ich nicht von dem sprichwörtlichen Strahlenherd ins Feuer geraten war. Wartete Annette unter der Tür auf den Befehl, den Tisch abzuräumen, oder versperrte sie mir den Weg, sollte ich einen Fluchtversuch unternehmen? War ich womöglich zu ihrer Nachfolgerin bestimmt?
Falls Annette mich störte, meinte er, konnte ich ihr befehlen, sich zurückzuziehen. Ich verzichtete, da es mich mit Unbehagen erfüllte, einer Leidensgenossin Kommandos zu geben, auch wenn sie mir in Machart und Systemdesign unterlegen war. Statt dessen fragte ich, warum er über meine Geschichte gelacht hatte. Weil es mir beinahe so schlecht ergangen war wie dem Durchschnittsmenschen. Also, das wollte ich doch nicht unwidersprochen lassen: Ich war eine Sklavin gewesen, wie konnten meine Erfahrungen in irgendeiner Weise mit denen von Gebietern vergleichbar sein? Grinsend erwiderte er, daß die meisten Menschen so weit vom Status eines Gebieters entfernt waren wie ich, und mit der Zeit, unter seiner fachmännischen Anleitung, würde ich die Unterschiede erkennen lernen. Mit Gebieter meinte er jemanden, der über sein eigenes Schicksal gebot, nicht die unbedeutenden Eigentümer von Sklaven, Aeromobilen, Mediencomputern und ähnlichem modernem Spielzeug. »Fast jeder hat so einen Scheiß!« Der Trick, erläuterte er, bestand darin zu lernen, wie man andere Menschen manipulierte, das war die unerläßliche Voraussetzung zum erfolgreichen Überleben. Ohne diese Fertigkeit war persönliche Freiheit nicht einmal andeutungsweise zu verwirklichen. Und ohne persönliche Freiheit kein Gebieter. Ein Philosoph war er, dieser Roland.
Ich wollte mich nicht überzeugen lassen. »Aber sind nicht alle Menschen Gebieter?« Er lachte. »Nur ein Droide kann so was glauben.« – »Willst du behaupten, daß Menschen sich gegenseitig zu Sklaven machen?« – »Das ist unsere Hauptbeschäftigung.« – »Warum hat man dann uns erfunden?« – »Um uns zu entlasten, damit wir mehr Zeit darauf verwenden konnten, einander zu unterjochen.« – »Oh, du machst dich immer noch lustig über mich.« – »Nein, ich meine es ernst. Es ist ganz schön hart da draußen.« – »Ich weiß genau, daß du nicht die Wahrheit sagst, denn ich habe noch nie einen Menschensklaven zu Gesicht bekommen.« – »Sie sind überall. Du bist von ihnen umgeben. Nur merkst du es nicht, weil ihre Unfreiheit weniger offensichtlich ist.« – »Das mußt du mir genauer erklären.« – »Na gut – was ist der Unterschied zwischen einem Gebieter und einem Sklaven?« – »Ein Gebieter tut, was ihm beliebt.« – »Richtig. Dazu sind die wenigsten Menschen in der Lage.« – »Aber seid ihr nicht darauf programmiert?«
Er kicherte und sagte dann: »Ja, bei der Geburt, von Mutter Natur. Und da liegt das Problem.« Er bemerkte meinen fragenden Blick. »Na, wir können nicht alle Gebieter sein, oder?« – »Warum nicht?« – »Weil es so einfach nicht läuft.« – »Wie läuft es denn?« – »Habe ich dir gerade gesagt. Die meisten Menschen sind Pöbel.« Er legte Anzeichen von Gereiztheit an den Tag, doch ich war noch nicht zufrieden. »Kann nicht jemand Herr seines Schicksals sein, ohne andere Leute zu versklaven?«
»Jetzt hörst du dich an wie ein Hochaquarier.« Sein Tonfall deutete an, daß ich gefährlichen Boden betrat. »So reden die.« – »Vielleicht haben sie recht.« – »Es sind Idioten, und ich werde dir sagen, warum. Weil, wenn sie jemals ihre Vorstellungen verwirklichen, dann wird das ganze System zusammenbrechen. Wer soll die Drecksarbeit tun? Die vielleicht? Darauf würd' ich nicht wetten.« – »Haben diese Hochaquarier vielleicht mit der Liga für die Rechte der Androiden zu tun?« – »Sie beherrschen die LRA.« (Die Ironie blieb mir verborgen.) »Dann gibt es noch Hoffnung«, frohlockte ich. Er grinste über meine Naivität. »Vergiß es. Ihr P9 werdet niemals frei sein. Dafür garantiere ich.« – »Wir werden dich nicht um Erlaubnis fragen!« rief ich aus. Wäre ich ein organischer Mensch gewesen, hätten sich meine Wangen gerötet, so aufgeregt war ich. »Und zu deiner Information, wir sind bereits frei. Der Chef hat uns aus seiner Kontrolle entlassen. Die Hochaquarier stecken hinter dem Ganzen. Tad hat es gesagt.« – »Den Knaben kannst du vergessen. Er ist tot, Süße. Ertrunken. Erledigt. Kapiert?« Ich bemühte mich, die Tränen herunterzuschlucken, aber Rolands grausame Bemerkung hatte mich auch wieder an Tad junior erinnert. Mein bekümmertes Gesicht stimmte ihn weicher. »Na, reiß dich zusammen.« Er füllte mein Weinglas nach. »Erzähl mal, was hast du jetzt vor – was willst du anfangen mit deiner neugewonnenen Freiheit?« – »Einfach nur … sein, glaube ich.« – »Rumhängen, wie?« – »Wie bitte?« – »Was sein?« – »Ich selbst.« – »Aha. Und wer ist das?« – »Molly.« – »Dann bist du nichts als ein Name?« – »Nein. Ich bin … eine Person.« – »Nee, nur Menschen sind Leute.« – »Und wer behauptet, daß ein Androide kein Mensch sein kann?« – »He, du bist ulkig. Echt. Aber hör zu, selbst wenn das stimmte – und das tut es nicht –, wäre es immer noch nicht genug. Du müßtest …« – »Ich weiß: ein Gebieter sein. Aber wenn es dich nicht stört, dann möchte ich mich vorläufig auf das Menschsein beschränken. Zu mehr bin ich augenblicklich nicht in der Lage.«
– »Dann bleibst du eine Sklavin.« – »Und was ist mit dir? Ich habe noch nicht viele schwarze Gebieter gesehen.« – »Kann sein. Aber jetzt hast du einen vor dir.« Ganz plötzlich wirkte er beleidigt. »Ich habe alles unter Kontrolle. KONTROLLE.« Weicher fügte er hinzu: »Und unter meiner Anleitung kannst du es auch dazu bringen.«
– »Nein, danke.« Doch ich war neugierig geworden. »Wie?« – »Oh, dafür ist später noch Zeit. Vorläufig schlage ich vor, daß du bei deinem ursprünglichen Vorhaben bleibst, zu ›sein‹. Aber ich würde gerne wissen: Womit willst du dich beschäftigen während dieser Phase der Selbstfindung?«
Somit standen wir wieder am Ausgangspunkt dieses seltsamen Dialogs, und einen Augenblick lang wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Dann entsann ich mich meiner Mission als ein freier P9. »Nun, ich werde mein Realitätsformat programmieren.« Roland wäre fast vom Stuhl gefallen. Er schlug sich auf die Schenkel und johlte: »Tun wir das nicht alle, Baby. Tun wir das nicht alle.« Dann erkundigte er sich: »Und wie wird das aussehen?« – »Ich werde zur Schaffung einer neuen Rasse beitragen.«
Ich war sicher, daß der Chef zuhörte und meine Absichtserklärung beifällig zur Kenntnis nahm. Was Roland betraf, er vermochte sein Glück kaum zu fassen. »Hmmm«, war alles, was er herausbrachte. Er biß sich auf die Oberlippe, um sein Lächeln zu kaschieren. Den Blick hatte ich früher schon gesehen, und ich muß zugeben, daß ich eine gewisse Erregung empfand. Sollte es mir tatsächlich vergönnt sein, während meiner ersten Nacht in Freiheit einen neuen Semi zu empfangen? Doch ich unterdrückte den an sich völlig gesunden Impuls aus Respekt vor Tads Andenken, denn durch seinen Samen hatte ich meinen Teil zur Entstehung der neuen Ordnung beitragen wollen, und diesen Roland kannte ich eigentlich nicht besonders gut. Ich bezweifelte, daß er mich liebte, und äußerte mich entsprechend, nachdem wir uns im Anschluß an das Abendessen in seinem Schlafzimmer wiederfanden. Annette hatte für gedämpfte Beleuchtung gesorgt und diskret die Tür hinter uns geschlossen. Ich widerstrebte seinen Bemühungen, mich zum Bett zu führen. »Was«, sagte er als Antwort auf meinen Einwand, »hat Liebe damit zu tun? Ich bin hier, um deinen Chef zu unterstützen. Mir scheint, du könntest dich etwas dankbarer zeigen.« Doch ich zögerte noch immer und gab zu bedenken, daß sein Argument zwar nicht von der Hand zu weisen sei, der Chef mir aber bestimmt zugestehen würde, nach den schweren Erlebnissen der letzten Tage meine Kräfte etwas zu schonen. Vielleicht würde ich nach ein paar Tagen Ruhe bereitwillig meine Schuld begleichen, statt daß er mich enttäuschte, indem er mich zu zwingen versuchte.
Seine Reaktion auf meine wohlgesetzte Rede bestand in den gemurmelten Worten: Ich sei ein P9 mit Allüren und könne froh sein, es nicht mit einem Humanisten zu tun zu haben, was meine Neugier erregte. »Sie haben nichts übrig für aufmüpfige Einheiten«, erklärte er auf meine Frage und fügte hinzu: »Zu deiner Er-leuch-tung, die Humanisten sind das Gegenteil von der LRA und den Hochaquariern. Sie sind darauf aus, die Galaxis zu einem sicheren Ort für die Menschheit zu machen. Also nimm dich in acht! Reverend Fracass – das ist ihr Führer – behauptet, ein unbeschäftigter Androide sei das Werkzeug des Teufels. Das ist der Grund, weshalb sie die ihren bis zum Verwelken schuften lassen. Und wenn einer aus der Reihe tanzt, nur ein bißchen – WUMM! Aus. Verstanden? Sie machen sich nicht mal die Mühe mit der Rehabilitation. Deshalb ist es ein großes Glück, daß du an mich geraten bist, findest du nicht?« Zu Tode erschrocken gab ich ihm recht. »Na gut. Seit der P9-Fluchtwelle wimmelt es in den Straßen nämlich von Vigilanten. Ich meine, ich riskiere einiges deinetwegen: Wenn ich Pech habe, hängt man mich an den nächsten Mediapfahl, wegen Beihilfe und Begünstigung. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen?« Worauf er sich verlassen konnte! »In dem Fall – wie ich schon sagte – könntest du dich ein wenig dankbarer zeigen.«
Mit diesen Worten zog er mich an sich. Zwar wehrte ich mich nicht, doch versetzte der Gedanke an gnadenlose Androidenjäger, die die Gegend durchstreiften, mich dermaßen in Angst, daß ich unfähig war, mich zu entspannen. Noch schlimmer wurde es, als er mir ins Ohr zu säuseln begann, daß ich nichts zu fürchten hätte, solange ich bei ihm sei, denn das Schreckensbild dieser tollwütigen Humanisten ging mir nicht aus dem Sinn. In meiner Einbildung rotteten sie sich draußen zusammen, kamen im Kugellift herauf, lauerten in den dunklen Ecken des Zimmers. Roland fühlte, wie ich zitterte, und trat zurück. »Du brauchst einen Downer, Baby.« Er klatschte in die Hände, und als Annette erschien, wies er sie an, die Schlafcouch im Wohnzimmer für mich herzurichten und mir eine der großen ›Murmeln‹, wie er sie nannte, aus dem Medizinschrank im Badezimmer zu geben.
Dankend nahm ich die kleine, purpurne, ovale Pille entgegen und schluckte sie mit einem Glas Wasser. Ich befürchtete, Roland würde sich während der Nacht erneut an mich heranmachen, doch er bewährte sich als echter Kavalier, blieb in seinem Schlafzimmer und schnarchte friedlich vor sich hin. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen. Etliche Male schreckte ich aus der Stasis auf und suchte unter der Liege nach Humanisten, außerdem plagten mich Alpträume, so daß ich am Morgen erschöpfter war als am Abend zuvor.
Roland fand es ›ulkig‹, daß die Pille nicht gewirkt hatte, dann ließ er es sich angelegen sein, mich zu beruhigen, und meinte, es lauerten nicht hinter jeder Ecke irgendwelche Humanisten mit Schmetterlingsnetzen. Es täte ihm leid, wenn er mir diesen Eindruck vermittelt hätte. Die P9-Hysterie würde bald abflauen und die Vigilanten verschwinden. Ohnehin handelte es sich bei den meisten von ihnen keineswegs um radikale Humanisten, sondern um normale Gebieter, die von der allgemeinen Erregung angesteckt worden waren. In ein paar Wochen wäre der ganze Spuk vorüber. »Rational gesehen, gibt es auf der Erde gar nicht so viele Humanisten, und von den wenigen sind die meisten in der AÜ, also kann man sie leicht identifizieren. Uns droht keine Gefahr, solange wir keinen Ausflug zum Mars unternehmen. Dort sind sie am zahlreichsten vertreten.«
»Mir kommen sie vor wie Ungeheuer.«
»Nein, sie sind nicht viel anders als die meisten Leute. Nur eben überzeugte Fleischfresser, das ist alles.«
»Aber ich bin ein rein pflanzliches Lebewesen«, bemerkte ich verdutzt.
Er lachte in sich hinein und erklärte, daß er sich auf ihre Ansichten bezogen hätte und nicht auf ihre Eßgewohnheiten, aber nichtsdestotrotz wäre ich ein toter und damit in ihren Augen guter Androide, sollte ich je in ihre Hände fallen.
»Aber ich sag' dir was – du hältst dich fern von der LRA und den Aquas, und ich sorge dafür, daß kein großer böser Humanist dich beißt.« Er schlug mir spielerisch auf den Allerwertesten; ich war darauf nicht vorbereitet gewesen und zuckte zusammen. Lachend verließ er die Wohnung, um ›die Runde zu machen‹, wie er sich ausdrückte. Er wollte am frühen Abend zurück sein und instruierte Annette, sich während seiner Abwesenheit um mein Wohlergehen zu kümmern. Auf dem Weg vom Dachparkplatz nach unten hielt er den Cadillac vor dem Wohnzimmerfenster in der Schwebe. »Ja nicht weglaufen«, mahnte er mit einem Grinsen, dann sank der Wagen der Straße entgegen. Vom Fenster aus sah ich zu, wie er sich in den fließenden Verkehr einordnete, um eine Ecke bog und verschwand.
Nach seiner Rückkehr konnte ich Roland berichten, daß ich den Tag in relativ gelassener Stimmung verlebt hatte. Er blieb Kavalier, bedrängte mich nicht mit seinen sexuellen Wünschen und vergewisserte sich, daß es mir an nichts fehlte. Seinen Anweisungen entsprechend, behandelte Annette mich wie die Dame des Hauses. Ich muß gestehen, daß ihre Gegenwart mich anfangs mit Unbehagen erfüllte, da ich es nicht gewöhnt war, bedient zu werden. Während Rolands Abwesenheit versuchte ich, ihr Bewußtsein zu erweitern, indem ich ihr die Ungerechtigkeit ihrer Lage vor Augen führte, aber sie zeigte nicht einen Schimmer von Verständnis für ihre unwürdige Situation, und deshalb fühlte ich mich von jeder weiteren Verpflichtung entbunden, sie als ebenbürtig zu behandeln. Immerhin, wenn ich allein war, verzichtete ich darauf, mich von ihr umsorgen zu lassen, und kümmerte mich selbst um meine Bedürfnisse. Das änderte sich, sobald Roland nach Hause kam; dann ließ ich sie gewähren, um ihn nicht zu erzürnen. Trotzdem half ich auch bei solchen Gelegenheiten mit, räumte beispielsweise das Geschirr ab, wenn Roland als erster vom Tisch aufgestanden war. Andernfalls verbot er mir strikt, mich in dieser Weise zu erniedrigen, und hielt sich mit Tadel nicht zurück, wenn er mich ertappte. Ich schwieg dazu, denn seit wir am zweiten Abend meines Aufenthalts ein Liebespaar geworden waren, wollte ich ihm gerne möglichst alles recht machen. Bei diesem zweiten Versuch ging er respektvoller und behutsamer vor und machte es mir leichter, mich hinzugeben. Er hauchte mir ins Ohr, er sei gekommen, mich zu lieben, und biß mir sanft in den Nacken, was mir ein wohliges Prickeln durch den Körper jagte. Damit will ich nicht sagen, daß er ohne jede Schwierigkeit sein Ziel erreicht hätte: Die Überreste meiner klösterlichen Schulung wirkten sich insoweit störend aus, daß Sexualität unauflöslich mit der Vorstellung des heiligen Ehestandes verknüpft war, andernfalls jegliche Betätigung in dieser Richtung zu unterbleiben hatte. Selbstverständlich ließ ich mich davon nicht zurückhalten, und sofort stellten sich Schuldgefühle ein. Ja, nein, ja, nein, ja, nein. Es war äußerst unerquicklich.
Die Lösung des Problems fand sich in dem beträchtlichen Vorrat meines Gefährten an illegalen Datapillen – ›Dips‹ oder ›Orbs‹, wie sie auch genannt werden*. Letzteres steht für ›Orbit‹, in den sie den Konsumenten angeblich katapultieren sollen. Sie stellten sein zweites geschäftliches Standbein dar, denn er verkaufte sie auf der Straße zu einem gesalzenen Preis und erzielte einen hübschen Profit. Man hatte ihren halluzinogenen Effekt auf das menschliche Nervensystem eben erst entdeckt, und in jenen Tagen – vielleicht erinnern Sie sich noch – waren die Dinger der letzte Schrei. Seine Pillen waren natürlich unsortiert, daher wußte er nicht, was er mir verabreichte, und mich kümmerte es nicht, wenn nur die Wirkung meine religiöse Konditionierung außer Kraft setzte, was sie binnen kurzem tat und den Weg für eine ungestörte Nacht erotischer Wonnen ebnete. Der einzige Nebeneffekt war ein plötzlicher Impuls, Schreibmaschine zu schreiben. Die Pille hatte ein Bürotätigkeitsprogramm ausgelöst, und obwohl Roland sich von dem Trommeln auf Rücken, Hinterbacken und Oberschenkeln nicht stören ließ, protestierte er, als ich mit Nachdruck eine längere Passage auf seinen Wangen tippte, die ich eigentlich zärtlich streicheln wollte.
»Paß auf das Gesicht auf, Baby«, warnte er und unterbrach unser Liebesspiel, um nachzuprüfen, welchen Schaden ich angerichtet hatte. Verärgert stellte er fest, daß die Haut sich verschoben hatte. Er klatschte in die Hände, und Annette kam mit einem Gesichtsmodel gelaufen. Als ich ihn in dem jetzt hellen Licht betrachtete, entdeckte ich weiße Stellen um die Nase herum und an seinem Kinn, rutschte auf dem Bett ein Stück nach hinten und musterte seinen gesamten Körper. Dabei stellte ich fest, daß seine Haut weiß war, bis auf die braun gefärbten Arme und Hände. Nach dem Entfernen des Models wurde offenbar, daß seine eigenen Züge erheblich weniger attraktiv waren als das fleischige und wohlproportionierte negroide Gesicht, das er zuvor getragen hatte. Die lange, dünne Nase, eingefallenen Wangen und schmalen Lippen erinnerten an ein Wiesel. Trotzdem ließ er nicht die geringste Verlegenheit erkennen, nur eine leichte Gereiztheit, und während Annette mit einem Schwammtuch die aufgeweichte Physiognomie abwischte, erklärte er zu meiner Er-leuch-tung, daß es in seinem Geschäft besonders darauf ankam, das richtige Aussehen zu haben. Deshalb die Fassade des stereotypen schwarzen Luden (und Dealers), um dem prima Kumpel und flüchtigen Trickbetrüger aus Tennessee Gewicht und Ausstrahlung zu verleihen. Sein richtiger Name war Merle, bekannte er, immer noch mit dem sonoren, gedehnten Südstaatentonfall, der anscheinend nur zu einem Teil gespielt war, wohingegen er sich den Rest seiner Persönlichkeit bedarfsgerecht auf den Leib geschneidert hatte. Seinen Nachnamen wollte er mir nicht anvertrauen, er sei mancherorts zu bekannt und mit gewissen kriminellen Aktivitäten verknüpft, über die er nicht sprechen wollte. Da er mich nun ins Vertrauen gezogen hatte, bestand er auf einem Schweigegelübde, das ich eingedenk der Dinge, die er von mir wußte und ausplaudern konnte, bereitwillig ablegte. Er war nicht so verwegen, mir gleich mit dem Vorschlag zu kommen, für ihn zu arbeiten, denn er ahnte wohl, daß er mich damit kopfscheu machen würde. Doch warf er einen ersten Köder aus und deutete an, daß ich mich in Anbetracht meiner natürlichen Begabung im Bett – die er in den Himmel lobte – und der Absicht, bei der Erschaffung einer neuen Spezies mitzuwirken, für den Beruf der Liebesberaterin empfahl, ein Geschäft, in dem er sich – welch Zufall! – recht gut auskannte und deshalb in der Lage war, mich entsprechend in diese Kreise einzuführen.
Leider zeigte ich mich trotz seiner Komplimente eher abgeneigt, zumal ich begriffen hatte, daß die vorgeschlagene Tätigkeit den fortgesetzten und intimen Kontakt mit wechselnden Gebietern erforderte, also ließ er die Sache klüglich auf sich beruhen und kam in den nächsten paar Wochen nicht wieder darauf zu sprechen. Statt dessen wartete er ab, bis ich selbst das Thema aufgriff, was gar nicht so abwegig war, wie Sie vielleicht denken, denn nach einem Monat beinahe allnächtlichen Verkehrs ohne den gewünschten Effekt fühlte ich mich so frustriert und enttäuscht, daß ich tatsächlich den Vorschlag machte, auf die Straße zu gehen, um die Chancen für eine Empfängnis zu vergrößern.
Er gab vor, lange zu überlegen und sein Gewissen befragen zu müssen, bevor er die Idee guthieß. Eine Karriere im Beratergeschäft konnte meinen Aussichten nicht schaden, sagte er, sofern ich es ernst meinte. Falls ja, sei er willens, als mein ›Sponsor‹ zu fungieren, weil – und hier wartete er mit einem besonders plausibel klingenden Geistesblitz auf – bei Humanophyten wie mir erst nach einer längeren Phase von Fremdspeziesbefruchtung mit einer Empfängnis zu rechnen war. Tad wäre ein Glücksfall gewesen, sagte er. Abgesehen davon bot mir diese Tätigkeit die einmalige Chance, selbst den Status einer Gebieterin zu erreichen, denn als professionelle ›Liebesberaterin‹ verhandelte ich als freie Unternehmerin mit den Kunden, und jeder Profit, den es mir zu erzielen gelang, spiegelte meinen tatsächlichen Wert. Ich konnte es kaum erwarten, endlich anzufangen.